Kategorie: #DigitalMondayBlog

Die Weichen der Digitalisierung werden neu gestellt

2020 wird als das Jahr der Corona-Pandemie in die Geschichtsbücher eingehen. Es ist aber auch das Jahr, indem die IT-Technologie endgültig bei den Menschen angekommen ist.

Natürlich gab es Onlineshops schon vorher, Streamingdienste sind auch nicht erst seit gestern verfügbar und Pizzen konnte man früher per Telefon bestellen. Die erzwungene physische Distanz und der Mangel an möglichen Freizeitaktivitäten hat dennoch für einen ungekannten Boom bei Essenlieferanten, Online-Shops und der Videotelefonie geführt. „Home Office“ ist inzwischen eine weiterverbreitete Arbeitsmethode und Distance Learning gehört zum allgemeinen Wortschatz. Technik hat 2020 im Leben der Menschen also massiv an Bedeutung gewonnen – und das wird nicht mit dem Ende der Pandemie vorbei sein. Das Jahr 2020 wird nachhaltig auf unseren Umgang mit IT wirken – und 2021 und danach werden wir diesen Umgang gestalten müssen.

Technologie verändert das (Zusammen-)Leben

Die technologische Entwicklung ist seit der (ersten) industriellen Revolution der zentrale ökonomische Fortschrittsmotor: Entwicklungen in der Technologie haben die Produktivität der Volkswirtschaften enorm gesteigert und sind die Basis unseres heutigen Wohlstandes. Die Mitte des 18. Jahrhunderts beginnende Mechanisierung, die Ende des 19. Jahrhunderts folgende Massenproduktion und Verwendung elektrischer Energie oder die digitale Revolution seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert haben mit einem Mehr an technologischen Möglichkeiten auch ein Mehr an Wohlstand und an gesellschaftlichen Möglichkeiten geschaffen.

Der Durchbruch neuer Technologien kam oft in wenigen Jahren zustande und verlief selten friktionsfrei, exemplarisch seien die Maschinenstürmer genannt, aber auch der enorme Pauperismus im Zuge der industriellen Revolution. Dies führte in der Folge zu gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen über den Umgang mit den Folgen – den positiven wie den negativen – der industriellen Revolution; man denke an die Entstehung von Gewerkschaften und Sozialdemokratie, aber auch an die Enzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII. Auch der Sozialstaat der modernen Prägung ist eine Antwort auf die enormen technologiegetriebenen sozialen Umbrüche des 19. Jahrhunderts. Letztlich ist es mit zahlreichen Maßnahmen gelungen, die negativen Auswirkungen einzufangen, Institutionen und Regeln zu schaffen, die den Wohlstand absichern konnten und damit allgemein anerkannt war. Technologie und der Umgang damit, die aktive Gestaltung unseres (Zusammen-)Lebens also, wurde so die Grundlage unseres Wohlstands.

Dennoch: Frei von Auseinandersetzungen ist der technologische Wandel auch seither nicht. Debatten etwa über den Nutzen der Atomkraft oder ökologische Herausforderungen beschreiben weitere Bruchlinien unserer modernen Gesellschaft.

Kurzum: Technologien sind nicht „neutral“, sie verändern unser Zusammenleben und die Arbeitswelt in einem erheblichen Ausmaß, gerade auch im Corona-Jahr 2020. Während der Lockdowns war die IT die Voraussetzung zum Aufrechterhalten des Arbeitslebens. Hierzu nur eine Zahl: Im System der Stadt Wien haben sich die Videoanrufe zwischen Februar und Oktober mehr als vervierzigfacht. Das heißt auch: Zahlreiche Menschen haben die Scheu vor dieser Technologie abgelegt (oder ablegen müssen). Home Office ist nicht nur „Arbeit zu Hause“. Es trennt zunächst Tätigkeiten, die disloziert erbracht werden können, von solchen, bei denen das nicht geht. Und selbst dort, wo Home Office technisch möglich ist: Eine 100-Quadratmeter-Wohnung mit Balkon und ohne Kind ist etwas anders als 60 Quadratmeter mit Kindern. So angenehm und zielführend der Einsatz von Home Office sein kann – man denke an die Zeit vor Corona – so sehr haben wir doch alle gemerkt: Dauerhaft von zu Hause zu arbeiten verändert das Sozial- und Arbeitsleben massiv, eine Präsenzveranstaltung ist etwas anderes als eine Videokonferenz.

Ein anderes Beispiel: Die Bestellungen von Essen und anderen Gütern im Internet: es ist ein Unterschied, ob ich im Restaurant sitze oder zu Hause. Es wird sich ggf. auch auf die Anzahl der Geschäfte in der Stadt und damit auf das Stadtbild auswirken.

Keiner möchte die technologischen Möglichkeiten missen, die jetzt so weit verbreitet sind. Sie schaffen Alternativen. Und sie haben Konsequenzen. Derzeit ist dieser Einsatz der Technologie oft alternativlos, weil das Virus uns weiter zur massiven Kontaktreduktion zwingt. In der Zeit nach der Pandemie wird allerdings ein spannender gesellschaftlicher Aushandlungsprozess beginnen: Wann nutzen wir Videokonferenz, wann machen wir Präsenzveranstaltungen? Wie viel Home Office ist passend, wie viel „Flurfunk“ braucht es? Wann gehen wir essen, wann lassen wir liefern? Wie und wann wir die „neuen“ Möglichkeiten verwenden ist also Gegenstand der Debatte – beginnend 2021.

Digitalisierungshauptstadt Wien

Es ist erklärtes Ziel, die Stadt Wien zur „Digitalisierungshauptstadt“ (Bürgermeister Dr. Michael Ludwig) zu machen. Dieses Ziel findet sich auch prominent im Regierungsübereinkommen der neuen Wiener Stadtregierung wieder. Dabei stellt das Regierungsübereinkommen genau auf die beschriebene Balance ab: Die Technologien sollen genutzt werden, sie müssen aber dem Menschen dienen. Man könnte sagen: Die legendäre (analoge) Wiener Lebensqualität muss auch in den digitalen Bereich transformiert werden. Nicht zuletzt wird die Zugänglichkeiten zu den technologischen Möglichkeiten eingefordert und der traditionelle Wiener Weg der Sozialpartnerschaft festgeschrieben.

Es geht also um einen Aushandlungsprozess, der – siehe oben – die Möglichkeiten der Technologie nutzt und diese für die Menschen auch nützlich macht. Das betrifft die Arbeitsbedingungen, den KonsumentInnenschutz, den Umweltschutz, den Datenschutz … Die Digitalisierung muss also eingebettet werden in gesellschaftliche Ziele, im Regierungsübereinkommen sind hierzu Leitplanken unter dem Begriff „Digitalen Humanismus“ formuliert worden.

Neben dieser Debatte um eine Weichenstellung der Nutzung digitaler Technologien sind im Regierungsübereinkommen auch konkrete Ziele benannt. Das zusammenzufassen wäre ein eigener Blogbeitrag, genannt seien aber die Etablierung einer Datenstrategie und eines Digitalen Zwillings, Initiativen im Bereich eHealth, der Ausbau von OGD, das Thema Sourcing und vieles mehr. Konkrete Erleichterung für die Menschen soll der systematische Ausbau digitaler Behördenwege bringen. Bereits heute sind für 600 Amtshelferseiten mit den für den Amtsweg erforderlichen Informationen verfügbar. Bei 250 Amtshelferseiten gibt es auch elektronische Formulare, bei 200 von den 250 kann man einen Online-Antrag stellen. Dies gilt es nun systematisch und durchgängig im Rahmen von mein.wien weiter zu digitalisieren. Denn Digitalisierung muss – um es mit den Worten von Stadträtin Ulli Sima zu sagen – „konkrete Lösungen bieten, um das Leben der Menschen zu verbessern“ (Kurier, 22.12.2020).

Der Digital Services Act

Auch auf Ebene der Europäischen Union stehen Weichenstellung im Bereich der Digitalisierung an. Die E-Commerce-Richtlinie der EU ist 20 Jahre alt – und muss dringend überarbeitet werden. Das passiert durch den Digital Services Act und den Digital Market Act, die Entwürfe dazu hat die Europäische Kommission am 15. Dezember 2020 vorgelegt. Im Kern wird es darum gehen, die Haftung und Verantwortung der Plattformen zu erhöhen und regionale Rechtssetzungen auch gegenüber internationalen Plattformen durchsetzen zu können. Die nun vorliegenden Vorschläge liefern den ein oder anderen interessanten Ansatzpunkt. Insbesondere soll die Digitalwirtschaft auch institutionell besser eingehegt werden – was vermutlich kleineren Anbietern nutzt, da es Schwellenwerte gibt. Ohne hier in die Details des sehr komplexen Vorschlags einsteigen zu wollen, ist die Debatte damit eröffnet: Wie soll die digitale Wirtschaft in der Europäischen Union künftig aussehen? Ziel muss es auch hier sein, einen eigenständigen europäischen Weg zu definieren, der Datenschutz und Rechtsstaatlichkeit ins Zentrum rückt.

Das Jahr 2021 wird also sicher auch das Jahr, in dem die Zukunft der technologischen Entwicklung in Europa diskutiert und entscheidende Weichen gestellt werden. Wien hat sich im Regierungsübereinkommen der neuen Wiener Stadtregierung hier klar positioniert. Die konkrete Umsetzung – also der noch größere Nutzen der IT für die Bürgerinnen und Bürger – ist die Aufgabe, die vor uns liegt. Das wird nur in der bewährten Tradition der Sozialpartnerschaft und gemeinsam mit den Partnern der DigitalCity.Wien gelingen. Die Chancen der Digitalisierung sind da – nutzen wir sie gemeinsam!


Amtseinführung Von Herrn Klemens Himpele

© PID/C. Jobst

Mit 1. Oktober 2020 übernahm Klemens Himpele die Leitung der Gruppe „Prozessmanagement und IKT-Strategie“ im Geschäftsbereich Organisation und Sicherheit der Magistratsdirektion der Stadt Wien und ist Chief Information Officer (CIO) der Stadt Wien. Davor leitete Himpele die MA 23 – Wirtschaft, Arbeit und Statistik.

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