IT-Ausbildungen für Gehörlose
2019 sprach mich Theodora Patkos, die Chef-Trainerin der CodeFactory, mit einer interessanten Fragestellung an: Können wir auch berufsqualifizierende IT-Ausbildungen für Gehörlose anbieten?
Das Thema Förderung und Trainings von Gehörlosen war für Theodora schon viele Jahre vor der CodeFactory eine Herzensangelegenheit. Das Lob ihrer StudentInnen spricht Bände über Ihre fachliche Qualifikation, und dennoch war für mich als Außenstehender in Gehörlosenfragen die Antwort nicht so einfach zu geben. So begann unsere erste Recherchetätigkeit in einem Feld, in dem sowohl das vorhandene Potential als auch die eklatante Diskriminierung Tausender uns extrem überraschte.
Es gibt europaweit über 23 Millionen Menschen mit Gehörbeeinträchtigung, davon leben mehr als 10 000 in Österreich. Sie sind effektiv von höherer Bildung und Qualifizierungen ausgeschlossen, und für viele beginnt und endet der Bildungsweg mit dem Sonderschullehrplan – ohne dass es dafür zwingende Gründe geben würde.
Das fehlende Wissen darüber schlägt sich sowohl in der öffentlichen Hand nieder, die Gehörlose nicht als Priorität ansehen, als auch in Unternehmen, die lieber Ausgleichstaxen zahlen, als dass sie Menschen mit Gehörbehinderungen beschäftigen.
Der Beginn der CodeFactory als Ausbildungsunternehmen für IT-Fachkräfte kann wohl mit dem Gedanken “Warum gibt es das nicht?!” umschrieben werden, und trotz der harten Lektionen des Unternehmer-Daseins konnten wir uns diese Mischung aus Neugier und motivierendem Trotz erhalten. So konnte uns Theodora bald begeistern und die ersten Pilotprojekte in Rahmen verschiedener Kursformate starten. Von Grundlagenkursen in 2-Tagesformaten bis zur Teilnahme an unserem 4-monatigen Flagship Fullstack Web Developer Kurs (eine riesige Herausforderung, aber zu dem Zeitpunkt brannten sowohl wir als auch Theodora für das Thema) haben uns folgendes eindeutig gezeigt:
- Die üblichen Ausreden von Kommunikationsschwierigkeiten fallen in motivierten Teams von ProgrammiererInnen weg
- Eher mehr als weniger Dokumentation in Projekten verschriftlicht zu haben ist ein massiver Mehrwert für alle
- Die Leistungsfähigkeit, die Qualität im Ergebnis und vor allem der Teamgeist von gemischten EntwicklerInnengruppen ist beeindruckend und muss den Vergleich nicht scheuen
Diese Erfolge bauen aber nicht nur auf der Unbeirrbarkeit unseres eigenen Teams auf. Eine tragende Rolle die massive Anerkennung verdient, hatte in diesen Projekten auch der Verein WITAF, welcher sich seit mehr als 150 Jahren für die Interessen und Belange der Gehörlosen einsetzt. Nur durch die unermüdliche Arbeit von Frau Mag.a Vanda Zokic und ihren Kolleginnen konnten wir unsere ersten mutigen TestteilnehmerInnen erreichen und wertvolles Feedback und Input erhalten.
Die nächsten Schritte für unser Projekt, inzwischen “DivDevs – Diversity in Development” getauft, sind klar und gewaltig. Es gilt, ein weltweit einzigartiges Curriculum zu entwickeln, an die Anforderungen von Gehörlosen angepasst und gebärdensprachlich begleitet, das die Qualität und Anwendbarkeit der Kurse maximiert. Von der Entwicklung neuer Gebärdensprach-Elemente, Forschung in den Bereichen Pädagogik und kognitiver Psychologie bis hin zur umfangreichen Umsetzung dieser Elemente.
Theodora und unser gesamtes Team glauben trotz aller Herausforderungen daran, dass wir unser Ziel erreichen werden. Nicht nur, weil wir glauben, dass die vielen tausend Gehörlosen eine massive Bereicherung für die chronisch unterversorgte Sparte der IT sein werden. Vielmehr auch deswegen, weil wir den Beweis antreten wollen, dass Gehörlosigkeit kein Maßstab ist, welcher Grad der Ausbildung und Kompetenz ein Mensch erreichen kann oder sollte.
Abschließend möchte ich mich noch einmal bei Theodora bedanken, die das Herz und der tatkräftige Arm des Projektes gleichzeitig ist, bei WITAF für die wertvolle Unterstützung durch ihr umfassendes Fachwissen und tolle Mitarbeit, und nicht zuletzt bei unseren mutigen ersten “Versuchskaninchen” die den Schritt gewagt haben und gerade in ihre erste Anstellung als Web Developer durchstarten.
Sollte ich auch Sie von der Realisierbarkeit unseres Zieles überzeugt haben und Sie sich als ArbeitgeberIn, UnterstützerIn oder sogar ProjektpartnerIn einbringen wollen, freuen wir uns über Ihre Kontaktaufnahme.
Christoph Pirringer ist Gründer und CEO der CodeFactory Vienna. Der gebürtige Burgenländer hat Petroleum Engineering in Leoben studiert und arbeitet seit Jahren regelmäßig im Bereich Training und Verkauf für IT- und Elektronik-Unternehmen, wo er auch seine Begeisterung für das Programmieren entdeckte. Neben seinem Beruf als Web Developer trifft man ihn auch schon mal als freiwilliger Sanitäter im Rettungswagen an.