Tableaux vivants – Phantasie als Medizin
Auf unzähligen Plattformen und über digitale Medien kann man in den letzten Wochen beobachten, wie Menschen sich seltsame Dinge überziehen, einen Tisch decken und womöglich ihr Haustier neben sich platzieren. Es sieht eigentümlich aus, aber es hilft gegen Langeweile. Man macht davon dann ein Foto und schickt es über Instagram oder anderweitig in die Welt.
Was die Leute (jetzt in der Corona-Krise) als kleinen Trick gegen die Umstände nutzen, ist eine Erfindung aus dem 18. Jahrhundert und wurde am französischen Hof und später auch in den Kreisen der Bourgeoisie als Abendunterhaltung gepflogen. Man lud Gäste ein, die sich besonders kleiden und frisieren mussten, um gemeinsam ein Gemälde nachzustellen. Am besten natürlich ein prominentes Werk mit hoher kunsthistorischer Anerkennung. Die „lebenden Bilder“ waren auch in den Palais der Wiener Ringstraße en vogue, alles dauerte Stunden und man ließ Gäste sogar Eintritt bezahlen.
Dass „lebende Bilder“ auch Teil einer Museumsveranstaltung sein können, konnte man im Palais Todesco im Herbst 2015 bei einem Fundraising Dinner erleben. Ein auch in der Ausstellung präsentiertes Bild wurde von MuseumskollegInnen nachempfunden.
Was abends geht, funktioniert bestimmt auch untertags, oder? Das Jüdische Museum Wien lädt an Sonntagnachmittagen und anlässlich des Wiener Ferienspiels junge Gäste zwischen 6 und 10 Jahren ein, um gemeinsam vor allem Spaß zu haben – im Museum, mit dem Museum, mit den Themen der Ausstellungen und natürlich miteinander. In der Ausstellung über die Wiener Ringstraße haben wir Alltagsobjekte des 21. Jahrhunderts aus einer Krimskramsschachtel zu Requisiten für ein frei erfundenes kleines Stück verwendet, welches in einem der vornehmen jüdischen Ringstraßenpalais spielt. Die Herrschaften haben Kopfschmerzen oder gute Laune oder Langeweile oder trinken elegant eine Tasse unsichtbaren Tee. Damit niemand Text studieren muss, wird die Pantomime als Darstellungsform gewählt. Da den jungen Gästen und uns das Erfinden viel Spaß macht, haben wir das Vermittlungsprogramm „tableaux vivants“ über den Rahmen der Wechselausstellung hinaus erweitert.
Wie wäre es aber mit den drei Damen und dem Herrn in weiß als Vorlage für ein „tableau vivant“? Es handelt sich um Schwimmerinnen des jüdischen Sportvereins Hakoah mit ihrem Trainer. So lange das social distancing noch andauert, laden wir unsere LeserInnen ein, diese Szene als „tableau vivant“ nachzustellen. Die Temperaturen lassen bestimmt bald das entsprechende Outfit zu. Wenn nicht, dann muss eben erfunden werden. Die drei in Bademänteln, die drei beim Frühstücken, beim Termine-Checken – Hedy Bienenfeld, sie steht ganz rechts, war auch Fotomodell. Sie könnte Termine in einen Kalender eintragen?
Schicken Sie uns doch Ihre Fotos und Geschichten, wir machen daraus eine online-Ausstellung.
Per E-mail an tours@jmw.at oder per Post an Jüdisches Museum Wien, z.H. Vermittlung, Dorotheergasse 11, 1010 Wien
Phantasie ist eine Medizin. Zu jeder Zeit und überall. Unangenehme Nebenwirkungen sind nicht bekannt.
Hannah Landsmann studierte Judaistik und Romanistik an der Universität Wien und erlangte das Lehramt aus Deutsch und Geschichte an der Pädagogischen Hochschule in Wien. Seit 1997 ist sie als Kulturvermittlerin im Jüdischen Museum Wien tätig und leitet seit 2000 die museumspädagogische Abteilung. In verschiedenen Weiterbildungsformaten tritt sie als Vortragende auf und berät Vermittlungsabteilungen anderer (jüdischer) Museen.