Im E-Commerce wird’s eng: Die überraschende Zukunft des Online-Shoppings
Vor einigen Jahren besuchte ich eine spannende Session bei der weltgrößten Digitalmesse SXSW in Texas. Sie hieß „The best interface is no interface“. Dort berichtete Samsung über seine Forschung, konventionelle Eingabegeräte wie Tastatur, Maus oder Bildschirm verschwinden zu lassen.
Diese Anstrengungen haben nun aufgrund der hohen Investitionen von Amazon, Google und eBay Aufwind erhalten. Projekte wie der Google Personal Assistant, Ebays Chatbot verbunden mit Investitionen in Amazon Prime Now oder der massive Erfolg des holländischen Startups Picnic lassen folgende Vorhersagen für den Handel für die nächsten 5 Jahre zu:
Wir werden uns nicht wöchentlich auf einer E-Commerce-Seite einloggen, um Pizzateig und Klopapier zu kaufen. Wir werden diese Produkte situativ bestellen, indem wir die Bestellung in Devices sprechen, sei es mit Alexa, Siri oder anderen Assistenten. Wenn wir Dinge vergessen, werden diese Systeme uns erinnern. Die klassische E-Commerce Webseite, die sich durch nichts differenziert, wird ebenso verschwinden wie das historische Telekom-Einwahlportal für das World Wide Web verschwunden ist.
Vergessen Sie den Retailblues über schließende Geschäfte in den USA. Dort gibt es massive Überkapazitäten, die nicht mit Europa vergleichbar sind – von daher droht keine Gefahr. Sondern von anderswo: Zahlreiche Unternehmen arbeiten daran, uns unangenehme Dinge abzunehmen. Einmal ein wenig zu bummeln, außergewöhnliche Produkte zu suchen – zu shoppen: das ist angenehm. Für zwei Liter Milch und eine Packung Spaghetti die Schuhe anzuziehen, den Autoschlüssel zu drehen, eine Strecke X zu überwinden, im Supermarkt nach der neuen Sortierung zu suchen, dann an der Kassa anzustehen, dann retour zu gehen oder zu fahren und Benzin zu verbrauchen, ist in den meisten Fällen NICHT angenehm.
Amazon Prime Now garantiert die Zustellung innerhalb einer fix wählbaren Stunde. Und anstatt obigen Prozess zu durchlaufen, kann man zu Hause bei den Kindern bleiben. Und genau das werden Konsumenten tun. Die Besucherfrequenz im nicht-spezialisierten Einzelhandel wird sinken, zuerst unmerklich und dann deutlich. In Holland übrigens übernimmt nicht Amazon, sondern das lokale und extrem erfolgreiche Startup Picnic die Lieferung zur letzten Meile. Extrem erfolgreich heißt, Picnic hat ein Wachstum von 10%. Wöchentlich.
Wir sehen im Handel zwei Entwicklungen: auf der einen Seite Amazon, welches jeden einzelnen Prozess im Handel digitalisiert, optimiert und perfektioniert und aufgrund seines Starts als digitaler Player vor mehr als 20 Jahren über enormes Handelswissen verfügt. Und auf der anderen Seite spezialisierte Brandshops, die sich auf eine breite Kundengemeinde stützen und diese online und offline ausgezeichnet zu bedienen wissen (etwa der rasch wachsende Rapha Cycle Club, Bonobos, Warby Parker und viele andere).
Und dazwischen? Ist nicht viel Platz. Wer es nicht schafft, die Value Proposition von Amazon zu erreichen (was laut Hudson Bay Company Boss Jerry Storch aufgrund der enormen damit verbundenen Kosten in vielen Fällen ein Weg in den unternehmerischen Selbstmord ist) und seinen Kunden andererseits nicht erklären kann, was ihn als Händler einzigartig macht, wird mittelfristig aus dem Markt verschwinden oder eine lange Bergaufstrecke zu bewältigen haben.
Ausnahmen werden die Regel bestätigen, finanzielle Rücklagen das Leiden und den Untergang verlängern und unterschiedliche Standbeine den zurückgehenden Handelsarm im einen oder anderen Fall noch quer-finanzieren. Auch lokale Unterschiede mag es geben und einige Firmen werden hoffen, dass ihre individuelle Kundschaft die digitale Gap noch lange nicht überspringen möge. Unternehmen werden auch glauben, dass sie mit Technologieinvestitionen massive, notwendige Prozessänderungen verzögern und verhindern können.
Wird nicht klappen. Digitale Transformation ist eben mehr als Technologieadaption und der Handel wird dies ebenso zu spüren bekommen wie andere Branchen vor ihm. Der klassische E-Commerce ohne Differenzierung ist tot.
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Andreas Hladky, 44, ist Gründer und Geschäftsführer von point of origin. Das Unternehmen mit Stammsitz in Wien berät Kunden umfassend zu den Themen Digitalisierung und Wandel. Andreas Hladky studiert(e) Psychologie, Philosophie und Kulturanthropologie an der Universität Wien, Projektmanagement an der WU-Wien und besuchte die Europäische Business University INSEAD Fontainbleau.