Kollaboration statt Konkurrenz – jetzt!
Die Digitalisierung kann die Zusammenarbeit in Unternehmen auf ein neues Level heben. Doch nicht die besten Apps entscheiden über den Erfolg – sondern die Unternehmenskultur selbst.
Blicken wir hinter die Bürotüren österreichischer Unternehmen, so sehen wir oft das: Allzu oft werden Mitarbeiter in ihrer Entscheidungsfähigkeit beschränkt, allzuoft können sie ihre Potenziale nicht ausleben und in Teams und Abteilungen herrscht ein Gegeneinander. Die Zusammenarbeit beschränkt sich meist auf Arbeitsteilung und dem koordinierten Abarbeiten von Tasks.
Doch die gegenwärtigen Umbrüche in der Arbeitswelt aufgrund der Digitalisierung sind eine echte Chance. Nämlich die Mitarbeiter als das zu sehen, was sie tatsächlich sind. Keine Befehlsempfänger und beschränkte Arbeitnehmer, sondern verantwortungsvolle Menschen mit Werten, Idealen und Fähigkeiten, mit Ängsten und Sorgen. Menschen, die sich nach dem Sinn in ihrem Tun sehnen, die etwas bewirken wollen.
Die Forscher Richard M. Ryan und Edward L. Deci von der Universität Rochester sprechen in ihrer Selbstbestimmungstheorie von drei psychologischen Grundbedürfnissen eines jeden Menschen: Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Wenn diese drei Bedürfnisse erfüllt werden, ist der Mensch intrinsisch motiviert, zufrieden und produktiv.
Frederic Laloux hat in seiner Forschung – beschrieben in seinem Buch „Reinventing Organisations“ – den Typus der evolutionären Organisation entdeckt, die diese Bedürfnisse der Mitarbeiter befriedigt. Im Zentrum steht der „evolutionäre Sinn“, die Mitarbeiter gestalten das Unternehmen selbstorganisiert mit. Möglich ist das nur mit Kollaboration statt Konkurrenz.
Evolutionär und kollaborativ
Ein Beispiel für ein „evolutionäres Unternehmen“ ist der Pflegedienstleister Buurtzorg mit Sitz in den Niederlanden: Krankenpfleger Jos de Blok hatte das Unternehmen gegründet, weil er von der über-effizienten Arbeitsweise der hiesigen ambulanten Pflegedienste enttäuscht war: 10 Minuten pro Klient waren vorgesehen, keine Zeit für Beziehungsaufbau. Für alte und bettlägrige Patienten ein Desaster. Buurtzorg machte es anders: die Pflegekräfte organisieren sich selbst, ohne Hierarchien, ohne Zeitvorgaben. Das wichtigste Element: Vertrauen zum Klienten aufzubauen. Und die Mitarbeiter kollaborieren miteinander – auch mithilfe digitaler Tools – um das Unternehmen zu verbessern.
Ein Beispiel: Zwei Krankenschwestern haben bemerkt, dass alte Menschen zu Stürzen mit Hüftknochenbrüchen neigen und wollten das verhindern. Sie wandten sich an einen Ergotherapeuten und einen Physiotherapeuten, machten mit ihnen Vorträge in den Nachbarschaften zur Sturzprävention. Ein voller Erfolg. Nach und nach probierten andere Pflegeteams das Präventionsmodell aus. Inzwischen wenden es alle 9000 Mitarbeiter an.
Die beiden Krankenschwestern haben selbstständig ein Problem erkannt und gemeinsam mit Experten eine Lösung erarbeitet und sie anschließend angeboten. Sie haben einfach drauflos gemacht, weil sie Sinn darin sahen. CEO Jos de Blok hatte nur die Aufgabe, die Initiative geschehen zu lassen. Wieviel schöner ist die eigene Arbeit, wenn man eigene Ideen umsetzen und so das Leben seiner Kunden verbessern kann…
Teilen als Effizienz-Boost
Digitale Tools wie Social Collaboration Plattformen oder Apps können die Zusammenarbeit auf ein neues Level heben. Und tatsächlich bieten sie eine große Erleichterung für die Zusammenarbeit über Zeit und Ort hinweg. Apps und Plattformen, über die sich Mitarbeiter flexibel für Projekte zusammenfinden, sich vernetzen und austauschen, Dokumente sharen und kommentieren können, bringen Effizienz und Transparenz in die Teamarbeit. Kommunikation erfolgt in Echtzeit, offen und zwischen mehreren Teammitgliedern gleichzeitig – egal ob man in Boston, Buxtehude oder Botswana sitzt. Die Microsoft-Anwendung Yammer gehört hier zu den beliebtesten Anwendungen. Aber es gibt auch zahlreiche Alternativen, wie das Start-up Swabr, das Kurzmeldungen à la Twitter mit geschlossener Community für Unternehmen vereint.
Doch das beste digitale Tool nützt nichts, wenn die Mitarbeiter nicht bereit sind, zu kollaborieren. Die Unternehmenskultur muss den Nährboden für ein produktives Miteinander bereiten. Wenn die Unternehmenskultur kollaborativ ist, potenzieren sich die Fähigkeiten der Mitarbeiter. Die Menschen können sich als Ganzes einbringen und es entsteht eine neue, ungeahnte Form der Produktivität.
Die nächste Evolutionsphase hat begonnen. Unternehmen sollten sich nicht nur auf Technologien fokussieren, sondern den Menschen in den Fokus stellen. So kann aus dem „Zeitalter der Digitalisierung“ ein „Digitales Zeitalter des Menschen“ werden.
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Nicole Thurn ist Bloggerin und Journalistin. Sie war fast zehn Jahre bei der österreichischen Tageszeitung Kurier tätig, davon sieben Jahre als Journalistin im Ressort Karriere/Job Kurier und Business. Sie betreibt seit Anfang 2017 New Work Stories – das Blogzine für die neue Arbeitswelt, das eine Inspirations- und Informationsquelle für Mitarbeiter, Selbstständige und Manager sein will, die innovative Wege des Arbeitens und Führens suchen.