Digitalisierung: Mögliche Zielkonflikte und Schattenseiten
Die Digitalisierung verspricht viele positive Veränderungen. Das Thema Vernetzung steht dabei ganz oben. Die Erwartungen sind sehr hoch, auch wenn nicht immer ganz klar ist, wohin die Reise gehen soll bzw. welche konkreten Ziele verfolgt werden. Weniger im Kleinen als im Großen und als Gesellschaft gesehen. Erst kürzlich wurde andiskutiert, ob „Wachstum“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ in die österreichische Verfassung geschrieben werden sollen. Gleichzeitig wissen wir, dass ein unbeschränktes Wachstum auf einem beschränkten Planeten nicht funktioniert.
Obwohl sich die 1972 vom Club of Rome erstellten Simulationen in den vergangenen 45 Jahren bestätigt haben, versuchen wir weiterhin am Business as usual festzuhalten. Ganz abgesehen von den in Paris vereinbarten sehr ambitionierten und notwendigen Klimazielen, die ein massives Umdenken erfordern, wo aber auch technische Lösungen und die Digitalisierung eine wichtige Rolle spielen werden. Aber wahrscheinlich anders, als wir uns das heute vorstellen. Daher sollte das Thema Digitalisierung auch kritisch reflektiert werden. Vor allem, welche Ziele damit verfolgt werden bzw. welche potenziellen, nicht intendierten Nebenwirkungen zu erwarten sind.
In diesem Beitrag möchte ich die Aufmerksamkeit auf unsere steigende Abhängigkeit von Kritischen Infrastrukturen lenken. Die Schwierigkeit beginnt bereits damit, zu definieren, was Kritische Infrastrukturen überhaupt sind. Strom, Wasser, Telekommunikation, Verkehr oder Gesundheit würden uns rasch einfallen. Jedoch was davon ist wirklich kritisch? Der jüngste Ausfall des Buchungssystems von British Airways betraf rund 75.000 Fluggäste und wahrscheinlich noch viel mehr Menschen, die indirekt davon betroffen waren. Das Buchungssystem ist aber gar nicht Teil der Kritischen Infrastruktur. Dennoch war die Leistung/das Service, die Flugreise, nicht möglich. Noch dazu wurde die Störung durch einen Stromausfalltest ausgelöst. Eine kleine Ursache mit weitreichenden Folgen und Kosten. Ein Kennzeichen von komplexen Systemen, das häufig bei unseren Vernetzungsbemühungen unterschätzt wird.
Dabei war dieses Beispiel im Vergleich zu einem möglichen oder sogar sehr realistischen Szenario eines europaweiten Strom- und Infrastrukturausfalls – eines sogenannten „Blackouts“ – noch harmlos. Aber auch die zunehmende Eskalation im Cyber-Bereich könnte ähnlich weitreichende Folgen für uns als Menschen verursachen. Ging es bisher vorwiegend um Datendiebstahl, sind die Töne in den vergangenen Monaten deutlich rauer geworden. Ausfälle in Krankenhäusern, in der Automobilindustrie oder sogar erfolgreiche Angriffe auf Stromnetze gehören längst zum Alltag. Bisher sind zum Glück die Folgen noch überschaubar geblieben. Aber wie lange noch? Es scheint nicht mehr eine Frage des ob, sondern nur mehr des wann zu sein, bis wir auch weitreichende Infrastrukturausfälle sehen werden. Nicht intendierte Schattenseiten der Digitalisierung. Leider lässt sich das Thema Infrastrukturausfall nicht in der hier gebotenen Kürze darstellen. Die aus meiner Sicht größte Gefahr stellt dabei unser sorgloser Umgang mit ihr dar. Wir rechnen einfach nicht damit, dass weitreichende Infrastrukturausfälle und Versorgungsunterbrechungen möglich sein könnten, da wir durch die sehr hohe Versorgungssicherheit verwöhnt sind. Die Abhängigkeit von den Lebensmittelversorgungsketten ist dabei unsere größte Achillesferse. Hier eine kurze Videozusammenfassung.
Dieser Einstieg passt nicht zum meist eher euphorischen Zugang beim Thema Digitalisierung. Aber ich denke, es ist wichtig, auch diese Schattenseiten zu thematisieren und zu beleuchten. Nicht, um das Thema Digitalisierung gleich wieder zu Grabe zu tragen. Ganz im Gegenteil. Nur wenn wir uns der potenziellen Nebenwirkungen und Schattenseiten bewusst sind, können wir auch rechtzeitig die erforderlichen Schritte setzen, um solche Ereignisse möglichst hintan bzw. die erwartbaren Auswirkungen gering zu halten. Dabei geht es jedoch nicht nur um das Thema Schutz oder Verhinderung. Denn es gibt nirgends eine hundertprozentige Sicherheit. Schon gar nicht in komplexen Systemen, mit nichtlinearen und irreversiblen Wirkungen. Aus diesen Gründen ist es umso wichtiger, dass wir auch mit möglichen Rückschlägen oder größeren Ausfällen umgehen können. Und das beginnt mit der persönlichen Vorsorge: Was kann ICH tun? Ein weiterer wichtiger Aspekt ist ein systemisches Systemdesign , das ich in einem weiteren Beitrag beleuchten möchte.
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Herbert Saurugg ist Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen und beschäftigt sich mit den Schattenseiten der Vernetzung/Digitalisierung und der damit steigenden Komplexität. Der ehemalige Berufsoffizier ist Gründungsmitglied von Cyber Security Austria – Verein zur Förderung der Sicherheit Österreichs Strategischer Infrastruktur. Er betreibt einen umfangreichen Fachblog und ist über die Landesgrenzen hinaus als Fachexperte für das Szenario eines europaweiten Strom- und Infrastrukturausfalls („Blackout“) bekannt.